To the moon and beyond

Im Weltraum gilt volle Kraft voraus! 23.06.2020 |  8 Minuten

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Wie man Gravitationsgesetze nutzt, um Raumschiffe erfolgreich ans Ziel zu bringen

Alles dreht sich um die Schwerkraft.

Für Trägerraketen stellt die Gravitation die größte Herausforderung dar, weshalb die Erfindung und Beherrschung von Technologien und Verfahren, die zur Überwindung der Erdanziehung durch Raketen führten, auch zu den bahnbrechendsten Errungenschaften des Menschen zählen. Für interplanetare Raumfahrzeuge ist die Schwerkraft auf ihrer Reise durchs All aber zugleich auch eine mächtige Verbündete.

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    BepiColombo startet an Bord der Ariane 5, 20. Oktober 2018 © ESA – S. Corvaja

    Jene Kraft, die auf der Erde alles zusammenhält, kann im Weltraum dazu genutzt werden, Geschwindigkeit und Flugrichtung von Objekten zu beeinflussen.

    Auf Umwegen ans Ziel

    Im April dieses Jahres, eineinhalb Jahre nach dem Start an Bord der Ariane 5, rauschte die europäische Raumsonde zur Erkundung des Merkur BepiColombo an der Erde vorbei. Sie hatte sich nicht verirrt, sondern es folgen noch acht weitere Vorbeiflüge, auch Swing-bys oder Fly-bys genannt, zwei davon um die Venus und sechs um Merkur, bevor sieben Jahr nach dem Start der Schwenk in den Zielorbit erfolgt.

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      BepiColombos Blick auf die Erde bei ihrem Fly-by-Manöver am 10. April 2020
      © ESA/BepiColombo/MTM – CC BY SA 3.0 IGO

      2004 hatte sich auch die Raumsonde Rosetta an Bord der Trägerrakete Ariane 5 auf den Weg zu einem Stelldichein mit dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko gemacht. Es folgten fünf Jahre im Inneren des Sonnensystems, in denen sie drei Mal die Erde (2005, 2007 und 2009) und 2007 auch den Mars umkreiste, bevor sie zum Zielkometen ihrer Mission aufbrach, wo sie 2014 ankam.

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        Am 25. Februar 2007 vollführte die Rosetta ihr Swing-By-Manöver am Mars; Aufnahme von Rosettas Philae-Lander
        © ESA/Rosetta/Philae/CIVA

        Alles ist Teil des Plans. Wie bei den meisten interplanetaren Flügen gehört auch bei diesen Missionen die Nutzung der Schwerkraft zum Programm. So wird gezielt das Gravitationsfeld eines Himmelskörpers durchquert, um Geschwindigkeit und Flugbahn des Raumschiffs zu verändern.

        Wie wird ein Raumschiff durch Gravitation unterstützt?

        Durch Schwerkraft unterstützte Manöver dienen dazu, ein Raumschiff zu beschleunigen, zu entschleunigen oder seine Route umzulenken.

        Die Geschwindigkeitsveränderung erfolgt dabei relativ zur Sonne, indem das Raumfahrzeug durch den Gravitationsbereich eines Planeten oder Mondes „schwingt“. Mit der Größe des betreffenden Planeten oder Mondes nimmt auch die Anziehungskraft zu.

        Beschleunigung

        Nähert sich das Raumschiff auf dem Kurs der Planetenumlaufbahn, kann es aufgrund der Gravitationskraft Schwung aus der Orbitalenergie beziehen, wodurch es Geschwindigkeit aufnimmt und vorwärts katapultiert wird: Rosettas erstes Vorbeischwungmanöver an der Erde erhöhte ihre Geschwindigkeit um 11.000 km/h. Mehrere solcher Manöver haben im Kosmos eine Art „Abpralleffekt“.

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          Abbildung vom Solarpanel der Rosetta mit dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko im Hintergrund; Aufnahme von Rosettas Philae-Lander in 50 km Entfernung vom Kometen
          © ESA/Rosetta/Philae/CIVA

          Verlangsamung

          Nähert sich das Raumschiff entgegen der Planetenumlaufbahn, verliert es Schwung. BepiColombo war meist mit Bremsmanövern beschäftigt. Durch die Nähe Merkurs zur Sonne sind Raumfahrzeuge auch der Gravitationskraft der Sonne ausgesetzt und werden beschleunigt. Mit jedem Vorbeiflug verliert die Sonde Geschwindigkeit und kann schließlich sicher in die Umlaufbahn von Merkur eintreten.

          Warum so umständlich, wenn es auch auf direktem Weg ginge?

          Es geht kurz gesagt um den Sprit. Interplanetare Raumfahrzeuge können einfach nicht genug Treibstoff mitbefördern, um aus eigener Kraft an ihr Ziel zu gelangen.

          Selbst wenn die Trägerrakete sie in eine direkte Flugbahn zum Ziel katapultieren würde (nicht zu vergessen bewegt sich dieses ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit auf einer elliptischen Umlaufbahn!), müsste eine Sonde eine Riesenmenge Treibstoff mit auf die Reise nehmen, wodurch sich ihre Masse enorm erhöhen würde.

          In diesem Fall würde auch die Trägerrakete mehr Treibstoff benötigen, um sich mit ihrem nun schwereren Passagier in die Lüfte erheben zu können. Und da eine Extraladung Sprit auch die Masse der Rakete selbst erhöhen würde, würde man zur Beförderung von mehr Treibstoff wiederum mehr Treibstoff benötigen usw. …

          Nachdem das Raumfahrzeug von der Trägerrakete freigegeben wurde und eigenständig unterwegs ist, muss es durch Nutzung der Gravitationskräfte auf seiner Reise weniger Treibstoff an Bord nehmen und hat gleichzeitig eine höhere Reichweite.

          Durch diese clevere Nutzung der Naturgesetze können die Grenzen des Weltalls erweitert werden und wir können nie gesehenes Neuland erobern!

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            Blick Rosettas auf eine Landschaft des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (Komposit-Aufnahme aus dem Jahr 2014)
            © ESA/Rosetta/MPS für OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA; J. Roger – CC BY SA 4.0